Sturmwarnung

Auf die Sturmwarnung vor dem Sturmtief „Sabine“ reagiert das ganze Land mit Vorsichtsmaßnahmen und hoher Aufmerksamkeit. Ein Sturm zieht auf, samt Kaltfront und Gewitter, Schäden werden befürchtet, Leib und Leben gilt es zu schützen.
Doch der Wintersturm ist nur Wetter.
Die aktuellen Ereignisse in Thüringen sind mehr als eine politische Schlechtwetterlage – offenbar, und tragischer Weise, hat das Gedenken an Auschwitz nicht gereicht.

Vor 75 Jahren wurde das KZ Auschwitz befreit,
das Gedenken an die organisierte Ermordung von Millionen Menschen ist,
angesichts des wieder wachsenden Antisemitismus samt dem Anschlag in Halle
und der aktuellen Wahl des Herrn Kemmerich zum Ministerpräsidenten des Bundeslandes Thüringen durch die AfD wichtig wie lange nicht.
Deren Profilierungsnotstand verdeutlicht einmal mehr, dass diese faschistische geführte Partei im Rückgriff auf die dunkelsten Zeiten unserer Geschichte die Alternative zur aktuellen Verfassung sieht – und wie sehr machtbesoffene Politiker einer Kleinpartei sich unter dem Applaus einer so genannten „Werte“union über den Tisch ziehen lassen:
Ich war so frei, Demokraten.

Was aber wird werden, wenn nicht nur das Vergessen,
sondern vor allem die Ignoranz überhand nimmt?
Es darf nicht vergessen werden, dass verantwortungslose Werte und Machtansprüche, Intoleranz und Überheblichkeit – auf welchen Ideen auch immer sie beruhen – nicht zueinander führen, sondern nachhaltigen Schaden anrichten.
Denjenigen, die nicht müde werden zu betonen, dass sie des Gedenkens müde sind,
denjenigen, die Auschwitz als Vogelschiss der Geschichte bezeichnen,
ist darum nicht zu vertrauen. Vor ihren zerstörerischen Absichten muss gewarnt werden.

Die Ereignisse in Thüringen sind darum keine schnell zu reparierende Episode
– 24 Stunden rudern, dann ist alles wie zuvor. So haben die Sprachunfähigkeit, das Getue und Gehabe und vor allem den Preis deutlich gemacht, den Politiker auch hierzulande für die Macht zu zahlen bereit sind.

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit!, heißt es im Brief des Paulus an die Gemeinden in Galatien. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ fährt er fort.

Unabhängig von dem, was Paulus konkret im Blick hat, als er diese Worte schreibt,
wird eines deutlich:
Befreiung und Freiheit sind nicht dasselbe.
Befreiung ist ein Ereignis, vielleicht ein Kampf, vielleicht eine Qual, vielleicht Erleichterung,
aber Freiheit ist eine Aufgabe.
Freiheit ist gleich in doppelter Hinsicht eine Aufgabe:
Das Alte achtsam zurückzulassen und dabei Verantwortung zu übernehmen.
Das Neue achtsam zu gestalten und dafür Verantwortung zu übernehmen.

Wir sind nur Teil der Geschichte, aber wir sind es je auf – nun – nachhaltige Weise.
Darum müssen wir uns je und je den Widersprüchen unserer Existenz stellen,
die Geschichte geworden ist und aus der Geschichte wird.

Denn Geschichte, das sind nicht Worte und Bilder in Erzählungen, Büchern, Bildern oder Filmen, als ginge es darum, das Naturereignisse, politische Entscheidungen und menschliches Handeln in irgendeiner Weise „verzeichnet“ sind,
als gälte es nur, Bilanz zu ziehen und ein paar Zahlen und Fakten zu nennen,
oder im Geschichtsbuch eine Seite weiter zu blättern.
Geschichte ist erlebtes und geprägtes Leben.
Eben darum darf die gefährdete Lebendigkeit dieses Lebens nicht vergessen sein
– und schon gar nicht verdrängt werden. Wir sind zur Freiheit befreit,
doch diese Freiheit muss auch gelebt werden.