#Angeschlagen

Die Anschläge in Paris haben ihre besondere Dimension nicht nur in der maßlosen Mordlust und nicht einfach darin, dass sie in unserer „Nachbarschaft“ geschehen sind, sondern darin, wie nachhaltig sie unsere Nachbarschaft prägen. Damit ist nicht zuerst das Verhältnis Frankreich-Deutschland gemeint, das als Beispiel dafür steht, wie mit langjähriger harter Arbeit und politischem Willen aus so genannten Erzfeinden eben Nachbarn und Freunde werden. Stattdessen bedeutet Nachbarschaft die unmittelbare Umgebung um unseren Lebensmittelpunkt, die Menschen, Dinge, Institutionen und Netzwerke, die unser alltägliches Leben prägen. Zu recht ist darauf hinzuweisen, dass nur einen Tag zuvor auch in Beirut bei einem Bombenanschlag mehr als 40 Menschen getötet wurden und am 10. Oktober in Ankara mehr als 100 Menschen bei einer Friedensdemonstration. Doch medial-globalisierte Nähe ist eben noch nicht Nachbarschaft. Die ist entweder von Respekt und Toleranz geprägt, oder von Gleichgültigkeit, Ignoranz oder sogar Feindseligkeit. Hier, so scheint es, lassen sich ebenso spontan wie nachhaltig Stimmungen ausmachen, scheinbar beeinflussen und prägen. Daher kann ein Fußballspiel zwischen Nachbarn zum Symbol der Freiheit werden und ebenso daran scheitern, werden Lebensweisen verdächtig und sollen durch Beobachtungen sowie Datenerfassungen „abgesichert“ werden.

Die Opfer von Paris wurden schneller für das eigene politische Programm instrumentalisiert als sie identifiziert werden konnten, wobei sich ausgerechnet ein bundesdeutscher Staatsminister für „Finanzen, für Landentwicklung und Heimat“ hervorgetan hat. Die beschämende Schamlosigkeit der Worte im Ringen um Deutungsmacht ist es, die Menschenleben als Mittel zum Zweck und für Schuldzuweisungen instrumentalisiert, wo Trauer und Solidarität angebracht wären, und die nachhaltig die Aufgabe, ein nachbarschaftliches Miteinander in Frieden und Freiheit zu ermöglichen, behindert oder unmöglich macht. Das gilt gerade dann, wenn Menschen sich vor Ort für Menschen in Not und damit auch für Flüchtlinge einsetzen. Die Bomben und Schüsse zielen zuallererst auf Menschen und auf dieses zufällige oder verbindende Miteinander und Nebeneinander. Es werden daher nicht nur Werte angegriffen und Lebensstile, sondern vor allem die Möglichkeit, dieses Nebeneinander zum Miteinander werden zu lassen. Es treibt Menschen in die Flucht, wenn ihr Lebensmittelpunkt und damit ihre Nachbarschaft von Gewalt dominiert wird. Daher ist jeder Art von Missbrauch der Opfer entgegenzutreten.