Wahlwaisen – im Land der unbegrenzten Seltsamkeiten

Ach die Wahl -die, in den USA: sie hat mich auf Trapp gehalten,
obwohl tagelang und vor allem nächtelang nicht viel passiert ist:
Hier ein Umschwung, da ein paar Stimmen mehr, da weniger.

Und dann ist da ja noch Corona,
dass dann leider doch nicht am 4. November verschwunden ist,
wie die Trumpisten angekündigt oder versprochen haben – je nachdem.
Die höchste Zahl an Erkrankten in Dortmund seit Beginn der Pandemie,
neue und umfassender Vorsicht unsererseits – und verquerer Krawall in Leipzig

Und dann das Spiel BVB gegen FCB
„STOP THE VOTE – Hört auf zu zählen“ will man da rufen – nach der ersten Halbzeit!
Dortmund an der Tabellenspitze, das sieht so toll aus, das soll so bleiben.
Wir können gar nicht verlieren, denn wenn wir verlieren muss es ja Betrug sein.

Im Laufe der Woche stieß ich auf eine wichtige eine Bemerkung dazu:
Wir hören immer, wer nun vorne liegt oder hinten,
wer überholt hat und wer zurückgefallen ist,
das Stimmen auf mirakulöse Weise „verschwunden sind“- oder „erschienen“.
Aber das alles hat mit unserer Sprache und unseren Vorstellungen zu tun:
unserem MIND-Set: d.h., der Art, wie wir denken.
Wir denken uns die Wahl als ein Rennen oder ein Fußballspiel
und so sprechen wir auch darüber:
Aber das ist falsch. Alle Stimmen, die ausgezählt werden, sind schon abgegeben.
Wer die meisten Stimmen erhalten hat oder zurückliegt steht schon fest,
und zwar ab dem Moment, wenn alle ihre Stimme abgegeben haben.
Es muss nur noch festgestellt werden.

Dennoch bin ich ratlos,
wie man aus dieser Welt alternativer Fakten und der Verschwörungstheorien wieder herausfinden soll. 
Lohnen sich die Eitelkeit und die Lügen, zahlen sie sich aus?
Der Moderator Van Jones von CNN brach in Tränen aus:
Es sei nun wieder einfacher, den eigenen Kindern zu erklären,
dass es wichtig sei, ein guter Mensch zu sein und einen guten Charakter zu haben.
Das Leben in unterschiedlichen Welten: Wie weit geht das?
Und geht das so weiter?

150 Millionen Wähler*innen haben ihre Stimme abgegeben, 
erstmals ist mit Kamala Harris eine farbige Frau mit Migrationshintergrund
zur Vizepräsidentin gewählt worden und
Joe Biden hat so viele Stimmen erhalten, wie noch kein Präsident vor ihm –
doch selbst Trump hat mehr Stimmen bekommen, als Obama hatte:
Was ist da los, im Land der unbegrenzten Seltsamkeiten?

Wahlweise das eine oder das andere Land zu sein
bedeutet, jeweils die anderen zu Wahlwaisen zu machen:
Ist das so, wenn man eine Wahl verloren hat?
Ich hätte mich vermutlich so gefühlt, wenn Trump gewonnen hätte.
Schon die ganzen zwar erwarteten,
nun aber realisierten De-Legitimierungsversuche tragen dazu bei.

Nun gibt es da noch eine andere Redeweise,
die manchmal nach Wahlen zur Rede-Waise wird:
Und zwar immer dann, wenn dieses Wort nur für das Statement nach der Wahl
aus der Kiste geholt wird,
in der es von Wahl zu Wahl schlummert,
ein Wort, das Joe Biden nun aber schon häufiger gebraucht hat: das Mandat.

Das Mandat ist ein Auftrag, der in diesem Fall über die Verpflichtung gegenüber den eigenen Wähler_innen hinausgeht, weil es auch an das Amt und dessen Würde geknüpft ist,
das den Willen der Wähler *innen und das Amt und die Person, die gewählt wurde, zusammenführen soll. Hier gilt es also zu gestalten und nicht zurückzuweisen, nicht zu zerstören, nicht zu lügen oder zu verachten oder nur die eigene Klientel zu bedienen.

Dietrich Bonhoeffer hat darin unseren Auftrag zu einem tätigen Leben in dieser Welt und unter den Bedingungen dieser Welt gesehen: Modifiziert für unsere Zeit besteht unser Mandat darin,

Zu Bebauen und bewahren,
unter den Grenzen dieser Welt, ohne der Welt und uns Schaden zuzufügen, einander auszubeuten, den Profit über alles zu stellen. Dazu gehört eine nachhaltiger Einsatz für das Klima.

Einander partnerschaftlich in Respekt und Liebe zugewandt zu sein,
um das Leben zu meistern. Dazu gehört, den Widerspruch im Gegenüber auszuhalten und Wege zum Miteinander zu finden, gerade unter den Bedingen des Wissens um Gut und Böse, das uns verrückt macht.

gestaltend an einer Gesellschaftsform zu arbeiten,
die Frieden und Gerechtigkeit fördert und ermöglicht,
die nicht Krieg als das Mittel der Wahl sieht und nicht Macht als erstrebenswertes Ziel.

ein Miteinander des Glaubens zu leben,
das nicht zu Urteilen führen soll, mit denen wir uns überziehen, zu Tätern und Opfern erklären, uns die Wahrheit und Gottes Wohlgefallen und damit das Lebensrecht zu- oder absprechen.

Das waren und sind heikle Aufgaben, kritische Aufgaben.
Denn wir werden das Paradies auf Erden nicht und nie allein erreichen,
sondern immer nur im Bündnis mit Gott und den Menschen und der Schöpfung.
Eben darum sind wir gewiesen auf Jesus Christus,
der Gott vor den Menschen und uns vor Gott vertritt,
damit wir nicht zu Wahlwaisen und Redewaisen verkümmern.

Hier nicht, und auch nicht im Land der unbegrenzten Seltsamkeiten.