Einfach Frei-Kirche?

„Als der allmächtige Gott die Ketten deiner bürgerlichen Unterjochung zerbrach, wurde auch jene Erfindung zu Schanden, durch welche es gelungen war, deine Zunge zu fesseln. Heute freuen sich die Vertheidiger deiner Rechte, politische Wahrheit reden zu dürfen.“

feiert der Baptistenprediger Julius Köbner im „an das Deutsche Volk“ gerichteten „Manifest des freien Urchristentums“ das Revolutionsjahr 1848: Die Einrichtung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung samt Aussicht auf Rede- und Pressefreiheit sowie die Trennung von Staat und Kirche – und damit die Aussicht auf Religionsfreiheit. Denn nicht zuletzt aufgrund vielfach erfahrener Verfolgung

„wird es Jedem klar sein, daß wir dem Prinzipe der Religionsfreiheit huldigen. Wir empfangen diese edle Freiheit nicht erst heute aus der Hand irgend einer Staatsgewalt, wir haben sie seit 15 Jahren als unser unveräußerliches Gut betrachtet, und sie, wenn auch auf Kosten unsrer irdischen Habe und Freiheit, fortwährend genossen. Aber wir behaupten nicht nur unsre religiöse Freiheit, sondern wir fordern sie für j e d e n Menschen, der den Boden des Vaterlandes bewohnt, wir fordern sie in völlig gleichem Maße für Alle, seien sie Christen, Juden, Muhamedaner oder was sonst.“

Niemand sollte ein Privileg nur zum eigenen Vorteil besitzen und verwenden dürfen, so Köbners Überzeugung, der darum entschieden für die Trennung von Staat und Kirche eintritt. Wie aber soll eine solche Kirche dann verfasst sein? Köbner:

„Dem gemäß giebt es in der Gemeinde keine entscheidenden Stimmen. Die allgemeine Abstimmung entscheidet jede Frage. Die einfache Stimmenmehrheit ist die höchste irdische Autorität, die einzige und höchste Instanz aller Urteile, die alleinige Quelle aller Beschlüsse und Ordnungen, die ausschließlich gültige Bestimmung in allen erheblichen Angelegenheiten.“

Der Grund dafür liegt darin, dass es keine wie auch immer verfasste Geistlichkeit in der Gemeinde geben soll, die aus ihrem Amt eine besondere Autorität beanspruchen kann, die „imponiren, dominiren oder gar die Taschen ausbeuten wollen. (…)

„Die Gemeinde Christi ist auch kein Publikum, welches Geschmack daran findet, denselben Schauspieler 52 mal im Jahre auftreten zu sehen, um in demselben mittelalterlichen Costume die Rolle eines ersten Liebhabers der Moral zu spielen;“

Wenn aber die frohe Botschaft eine Angelegenheit aller Gemeindemitglieder ist, so dass das einfache, ehrliche Wort gegenüber dem geschliffenen Ausdruck den Vorzug erhält, damit die Gemeinde, für Köbner, selbst zur Botschafterin des neuen nationalen Bewusstseins werden kann, dann betrachtet sie

„es als Menschenraub und zum Prinzip der Leibeigenschaft gehörend, durch Landesgesetze die neugebornen Kindlein sogleich für eine Beute der herrschenden Kirche erklären zu lassen.“

Daher die Ablehnung der Kindertaufe samt der Konfirmation als „Zwangsaufnahme“. Somit bleibt der Gemeinde nur das überzeugende Wort als einziges Mittel der Verkündigung, basierend auf einem „System der reinen, gesunden Vernunft“, das freilich an der Bibel als der Selbstoffenbarung Gottes orientiert sein soll, zumal es vernünftig sei, die Welt nicht allein aus menschlichem Wissen und Vermögen zu erklären. So redlich möge jeder sein, fordert Köbner:

„Das Zeitalter der Scheinfrömmigkeit und Heuchelei höre endlich einmal auf! Es sei ebenso bürgerlich ehrenvoll, Antichrist, Humanist, oder wie man sich sonst nennen will, zu sein, als Christ; damit Niemand verleitet werde, einen falschen Namen zu tragen. Gelobt sei Gott, daß die bürgerliche Emancipation und völlige Gleichstellung aller Religionen herbeigekommen ist!“

Und damit die Freiheit, den Glauben an Christus als befreienden Glauben, begründete Hoffnung und Ermöglichung der grenzüberschreitenden Liebe leben und verkünden zu können.

Das Manifest wurde bereits 1849 zensiert und verschwand damit völlig aus der doch wohl eher geringen Aufmerksamkeit, die es vielleicht gehabt haben könnte. Bei aller historischen Begrenztheit und Bedingtheit markiert es aber eine Position einer sich emanzipierenden Moderne, welche die Freiheit und die Verantwortung des Einzelnen ernst nimmt und gerade darum jede und jeden als Adressaten des Evangeliums von Jesus Christus versteht. Die reformatorische Freiheit war und ist damit weniger eine historische Errungenschaft – das zeigt nicht zuletzt die leidvolle Geschichte der Täuferbewegung und der Kirchentrennung – als eine Herausforderung für die Gegenwart.

Julius Köbner, Manifest des freien Urchristenthums an das Deutsche Volk, WDL-Verlag, Berlin 2006