Ein Lehrstück über Worte, Sagen und Zwischenzeilen
Schon im Frühjahr haben wir versucht, uns dem zu stellen, „was man ja wohl mal wird sagen dürfen“. Nun hat der stellvertretende Vorsitzende der AfD Gauland wohl gemeint sagen zu dürfen, die Leute fänden den farbigen Innenverteidiger der deutschen Nationalmannschaft zwar als Fußballspieler gut, wollten aber „einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ „Nachbarschaft“ ist nun einmal eines der wichtigsten Themen unserer Gemeinde und Teil unseres Selbstverständnisses als Auferstehungskirche. Dennoch müsste dieser Satz hier nicht noch zusätzlich Beachtung finden, wenn er nicht eben so viel Beachtung gefunden hätte, dass Herr Gauland sich zu einer Stellungnahme genötigt sah.
Diese hat es in sich:
Er habe, so der stellvertretende Vorsitzende der AfD in einem Schreiben an die Mitglieder der Partei, über Jerôme Boateng kein Werturteil abgeben wollen. Erst durch die Überschrift „Gauland beleidigt Boateng“ hätten „die ansonsten richtigen Aussagen den Dreh ins Fremdenfeindliche, Rassistische bekommen.“ Er bedaure, dass eine Differenzierung angesichts des Medienhypes nicht mehr möglich sei, denn „dabei ging es mir nur um eine Beschreibung von Gefühlen, die wir alle überall in unserer Nachbarschaft wahrnehmen und die sich nicht dadurch vermindern, dass wir sie heuchlerisch nicht zur Kenntnis nehmen,“ so Gauland.
Also gut, differenzieren wir anhand seiner eigenen Stellungnahme:
Er wisse nicht, so Gauland, wer zuerst den Namen genannt habe, er bilde sich ein, es sei einer der F.A.Z.-Redakteure gewesen, „da mir der Name wie auch der Fußballsport weitgehend fremd sind.“
Wie aber kann es zu einer solchen Erinnerungsverwirrung kommen, wenn Gauland der Name fremd ist? Und wie zum verallgemeinernden Satz über „die Leute“, die ihn als Fußballspieler gut fänden, ihn aber nicht zum Nachbarn haben wollten?
Wenn Gauland Jerôme Boateng „bis dato gar nicht kannte“, wie er selbst sagt, und damit kein Werturteil über die Person abgeben wollte, bleibt nur die Möglichkeit, dass er sich ausschließlich auf den Klang des Namens und die Hautfarbe des Nationalspielers bezog. Es geht nicht um die Persönlichkeit eines einzelnen Menschen, sondern um puren Rassismus, markiert an der Hautfarbe oder am Namen. Gerade die „Differenzierung“ Gaulands macht das deutlich.
Wenn Gauland betont, es gehe ihm „nur um eine Beschreibung von Gefühlen, die wir überall in unserer Nachbarschaft wahrnehmen“, wird erkennbar, dass dieses Zitat nicht irgendwie „gefallen sein mag“, sondern tatsächlich gefallen ist, war es doch ausdrücklich sein Wunsch, diese „Beschreibung von Gefühlen“ nicht zu verschweigen – selbst wenn er damit seine eigene Nachbarschaft beleidigt, wie er selber sagt.
Nun klingt es wenig differenziert, wenn Gauland behauptet, dass „wir alle überall in unserer Nachbarschaft“ die von ihm aufgerufenen „Gefühle“ wahrnehmen. Das mag plausibel sein, wenn er damit den AfD-Parteitag und die Parteimitglieder adressiert, denen er ja schreibt, und offenbart dann nicht nur eine erschreckende Engführung in der Wahrnehmung von AfD-Mitgliedern, sondern konstatiert zugleich deren nachbarschaftlichen Rassismus, dem schon eine Hautfarbe oder ein als „fremd“ markierter Name ausreicht.
Wer also ist dieses heuchlerische „wir“, dass diese „Gefühle“ nicht zur Kenntnis nehmen will? Im Schreiben selbst sind es die „lieben Parteifreunde“, die hier adressiert sind. Nehmen sie die reklamierten nachbarschaftlichen Gefühle nun zur Kenntnis, oder nicht?
Sollte dieses „wir“ jedoch stattdessen verallgemeinernd auf die Gesellschaft bezogen gewesen sein, so gilt das Gleiche: Diesen Alltagsrassismus will niemand verschweigen! Warum auch: Ihm gilt es zu widersprechen, statt sich zu seinem Sprecher zu machen. Gerade solchen Sprechern des Rassismus ist zu widersprechen!
Tatsächlich: Es hilft wenig, die Heuchelei eines Herrn Gauland und seiner Partei nicht zur Kenntnis zu nehmen. Das ist es ja gerade, was dazu geführt hat, dass die angeblich „nicht zur Veröffentlichung bestimmte Besorgnis“, die zu verschweigen Heuchelei wäre, von der F.A.Z. nicht heuchlerisch verschwiegen wurde. Niemand benötigt dafür den ausgestellten Aufklärungsgestus eines Herrn Gauland, der sich zugleich auf Vertraulichkeit beruft.
Denn in dessen Schreiben wird noch eines sehr explizit gemacht:
Es sei der „ungebremste Zustrom raum- und kulturfremder Menschen“, der von Herrn Gauland für die von ihm diagnostizierten rassistischen Gefühle verantwortlich gemacht wird. Sie allein, so wird unterstellt, wären demnach Schuld an den Einstellungen virtueller oder tatsächlicher Nachbarn, deren Sprecher zu sein Gauland sich berufen sieht. Nun: Was niemand ignorieren kann, geschweige denn verschweigen will, ist, dass für Gauland schon die Hautfarbe oder der Klang eines Namens eines ihm ansonsten unbekannten Fußballspieler ausreicht, um diesen als „raum- und kulturfremd“ markiert zu sehen. Für diesen heuchlerischen Rassismus sind allerdings nicht die Menschen verantwortlich, die in Deutschland Hilfe suchen, sondern ausschließlich „Leute“ wie Gauland selbst.
Dass ich dies in unserem Gemeinde-Blog thematisiere, ist darum nicht nur unserem Schwerpunkt „Nachbarschaft“ oder der skandalösen Aussage selbst geschuldet, sondern vor allem der in den Worten und den Zwischenzeilen der eigenen Stellungnahme deutlich werdenden Selbstverständlichkeit rassistischen Denkens des AfD-Vertreters Gauland. Der fremdenfeindliche und rassistische „Dreh“, den seine Aussage erst durch die Veröffentlichung bekommen habe, ist, das zeigt sein Schreiben an die AfD-Mitglieder, längst sein eigener Dreh- und Angelpunkt. Es ist nicht der Skandal, der ein Skandal ist, sondern es sind die Windungen derartiger Selbstrechtfertigungen, in denen sich der Rassismus gesellschaftlich und individuell Geltung verschafft. Ein skandalon, daran sei noch erinnert, ist das Hölzchen einer aufgestellten Falle, die zuklappt, sobald man dagegen stößt!