#Lindigkeit

Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen (Phil 4,5),

so hieß es unter Bezug auf diese althergebrachte Übersetzung am vergangenen Montag an der Haltestelle.
Dabei ging es nicht nur um den Verlust von Begriffen, mit denen manche nichts und manche nichts mehr verbinden können,
sondern vor allem um eine begriffliche Gegenbewegung zum sich ausbreitenden und gesellschaftsfähigen Wort „Krieg“.
Eine halbe Woche danach ist dies kaum irgendwo so sehr sichtbar, wie in den USA, wo es nach dem Anschlag von San Bernardino wie selbstverständlich von den Seiten der Republikaner heißt „wir befinden uns mitten im Krieg“. Da diese Vokabel bei den vielen und mittlerweile alltäglichen Massenschießereien nicht fällt, geht es nicht um die Tat und die Tatmuster an sich oder die waffentechnisch aufgerüstete Gesellschaft, sondern um die Deutungshoheit und das damit verbundene politische Kapital: die Tat und deren mögliche Motive „ausschlachten“ zu können, für eigene Interessen und Positionen.

Wie naiv erscheint dagegen ein Begriff wie „Lindigkeit“. Nur, was bedeutet das überhaupt?

Zum Beispiel: „Geneigt, in Beurtheilung anderer und in seinem Betragen gegen sie, auf das vortheilhafteste, d. i. so wie es ihre Wohlfahrt erfordert, zu verfahren.“

Nachsicht, Milde, Güte: was für eine Kundgebung an die global vernetzte Menschheit, die Paulus hier als Aufforderung ins Netz stellt. Ist ja nicht so, als würde nicht genau das fehlen, angesichts des genauen Gegenteils an Kundgebung, von der aktuell Foren überlaufen. Euren Hass, eure Vorurteile, eure Kriegsrhetorik, eure Menschenverachtung, eure Herabsetzung anderer und eure eigene Würdelosigkeit lasset kund sein allen Menschen: damit gäbe es kein Problem, ist mittlerweile Alltag. Dann heißt es, „man wird ja wohl mal … sagen dürfen.“

Für Paulus geht es um eine andere Kultur des Umgangs miteinander – die uns möglicherweise orientalisch fremd ist, an die er aber festhält, obwohl er selber gerade als Opfer von Verleumdung und Gewalt im Knast sitzt.  Das ist also nicht naiv oder blöd, sondern da weiß einer, wovon er spricht. In 2. Kor 10, 1 ist das geradezu ein Gegenkonzept zu dem Vorwurf, schwächlich zu sein. Zeigt nicht mit dem Finger aufeinander und hört auf, euch selbst alles Gute und Schlechte anzukreiden:

Freut euch, hört auf, um alles und jedes und vor allem euch selbst besorgt zu sein,
adressiert Gott, wenn ihr in Nöten seid und wenn es euch gut geht,
dann wird der Friede Gottes eure Herzen und eure Gedanken um Christi willen gemeinschaftsfähig machen.

Ist heute schon ein Wagnis, ein solches Programm…