Ein Zell-Täter

Ein antisemitischer Angreifer, der nach dem Vorbild des Mörders von Christchurch – der zu Recht namenlos geblieben ist – und weiterer Massenmörder, einen Anschlag auf eine Synagoge wie nun in Halle versucht und dabei aus Frust Menschen tötet, ist, selbst wenn er keine offensichtlichen Komplizen hat, kein Einzeltäter. Seine Tat ist auch kein „Alarmsignal“ oder gar ein „Weckruf“, wie manche meinen. Es ist Mord, der in Hass wurzelt. Hass ist kein Weckruf und kein Alarmsignal – Hass hat keine sinnvolle oder sinnstiftende Funktion.

Um alarmiert zu sein und wachsam, reichen Aussagen führender oder namenloser AfD-Mitglieder, die sich auch jetzt wieder als eigentliche Opfer darstellen. Doch sie sind keine Opfer, sie sind Täter – und der so genannte Einzeltäter in Wahrheit ein Zell-Täter des bei der AfD und andernorts zur Schau getragenen Hasses. Wenn diese sich in ihrem Profilierungsnotstand als besorgt, fürsorglich oder betroffen darstellen, dann immer auf Kosten der Freiheit und des Respekts – wie alle, die den Hass brauchen, um sich selbst einen Platz zu verschaffen.

Mehr als genug alarmierend waren und sind darum die Aufmärsche Dortmunder Nazis und ihr schon lange zur Schau getragener Antisemitismus. Was dort redet und was dort skandiert und marschiert und gestikuliert sind Keimzellen, Stammzellen des Menschenhasses, der Selbstgerechtigkeit und der Profilierungssucht. Die Gewalt, die den einen wie andere zuvor zur Waffe greifen lässt, ist längst schon da: In Köpfen, Phantasien, Parolen. Zellen wie diese wuchern und produzieren Zell-Täter.

Nichts davon ist zu zu dulden oder einfach auszuhalten, als gehöre es dazu – darum darf  es dafür keinen Raum geben – nicht auf Dortmunder Straßen, nicht im Parlament, nicht in den Köpfen.

Der Versöhnungstag, der Jom Kippur feiert die Überwindung einer solchen Krise:
Des Tanzes um das Goldene Kalb, die Verehrung des Selbstgeschaffenen und einer Selbstbehauptung, die sich an identitätsstiftenden und überhöhten Symbolen ermächtigt und berauscht. Der Versöhnungstag ist der höchste jüdische Feiertag, weil er die damit verbundenen Unheilszusammenhänge benennt und durchbricht. Versöhnung ist auch Kern der christlichen Botschaft, deren Keimzelle durch und durch jüdisch ist.
Der Versöhnungstag ist eine Botschaft des Lebens, weil er die Chance feiert, neu anfangen zu können – und damit das Gegenteil dessen, was bei AfD und Dortmunder Nazis Kern der eigenen Identität und Inhalt ihrer Botschaften ist.